Startup-DNA

Autobiografie

Die außergewöhnliche Autobiografie des Mannes, der als Investor aus der „Höhle der Löwen“ bekannt wurde: Mit 25 steht Frank Thelen vor dem Ruin – aber was für die meisten das Ende bedeuten würde, ist für ihn der Startschuss für eine beispiellose Karriere. Mit unbändiger Willenskraft, erstaunlichem Wagemut und viel Herzblut wird er zu einem der erfolgreichsten Startup- Unternehmer und Investoren Europas.

Eine packende Lebensgeschichte und ein spannender Blick hinter die Kulissen von Wirtschaft, Politik und TV. Der Ausnahme-Unternehmer erzählt zum ersten Mal die Story seines Lebens.

Nah. Persönlich. Schonungslos ehrlich.

Die Höhle der Löwen

Frank Thelen – Die Höhle der Löwen (DHDL)

Wie es begann

Oh Mann, Fernsehen! Worauf habe ich mich da bloß eingelassen? Ich war früher eher der Typ, der höchstens mal im Freundeskreis begeistert von neuen Gadgets berichtete und mit Freude neue Software-Technologien bis in die frühen Morgenstunden testete – aber nicht der Mann für die große Bühne. Ich suchte nie die Öffentlichkeit. Stattdessen entwickelte, verhandelte, investierte und verkaufte ich lieber hinter den Kulissen. Ich bin eben nicht Heidi Klum, Thomas Gottschalk oder Dieter Bohlen. Und ein solcher Show-Profi werde ich auch nie werden! Ich habe sehr selten ferngesehen und war vor der »Höhle der Löwen« noch nie in einem Fernsehstudio – und wenn eine Kamera auf mich gerichtet war, lächelte ich immer ein wenig verlegen. Wie also wurde ich zu einem zentralen Bestandteil einer sehr erfolgreichen Prime-Time-TV-Show?

Einen roten Faden hat mein Leben: Neustarten, neue Wege gehen – und irgendwie war die Zeit für einen Neustart wieder gekommen. Ich hatte doo gegen die Wand gefahren, Scanbot lief inzwischen solide, doch die große Dokumentenplattform, von der ich immer geträumt hatte, durfte ich nicht umsetzen. Die Geschäfte liefen gut, doch mir fehlte die nächste große Herausforderung. Aber alles der Reihe nach:

Zweimal im Jahr trifft sich in Bonn ein kleiner Kreis, der »Private Investor Circle« des High-Tech Gründerfonds, der eine Mischung aus öffentlichen und privaten Geldern in Startups investiert. Dessen Chef Alex Frankenberg sagt passend: »Man wird eingeladen, wenn man an der Bar hunderttausend Euro entspannt investieren kann.« Klingt ein bisschen nach neureich, Zigarre, goldener Rolex und »Hey, was kostet die Welt« – aber so ist es nicht. Hier treffen sich erfahrene Investoren, die ihr privates Vermögen in Technologie investieren: Der High-Tech Gründerfonds hat schon in mehr als 500 Unternehmen investiert und bisher flossen über 1,5 Milliarden Euro von externen Investoren in die Startups. Mehr als 90 Unternehmen wurden bereits erfolgreich verkauft – und damit ist der High-Tech Gründerfonds der größte seiner Art in Europa. Ich würde übrigens niemals so ohne weiteres an einer Bar hunderttausend Euro verteilen (sagts nicht dem Chef, sonst werde ich nicht mehr eingeladen), aber ich durfte trotzdem hin.

Mein Freund Oliver und ich diskutierten also an besagter Bar bei einem Glas Champagner über die an diesem Abend vorgestellten Startups. Die Präsentationen sind immer spannend – und es ist deswegen durchaus sinnvoll, das Publikum zu begrenzen. Nur echte, ernsthaft interessierte, potenzielle Investoren sollen sich die Ideen der Gründer anhören. Leute wie Oliver. Er hatte erfolgreich ein Unternehmen im Adtech-Bereich gegründet, aufgebaut und an einen DAX-Konzern verkauft. Oliver ist einer der wenigen wirklich erfolgreichen Gründer aus dem Köln-Bonner Raum. Um in Ruhe über Neuigkeiten der Startup-Szene sprechen zu können, gingen wir auf die Terrasse. Dort erzählte mir Oliver, dass er neulich bei seinem Nachbarn zum Grillen eingeladen war – der sei beim Fernsehen und mache demnächst eine Show, in der Startup-Gründer vor fünf Investoren pitchen sollten. Ob ich da nicht mitmachen wolle, ich könne doch gut sprechen. »Nein«, habe ich gesagt, »mach du doch da mit!« Doch Oliver wollte das nicht. Wie gesagt: Ich war damals in einer Phase, in der ich sehr offen für Neues war – ich wollte etwas lernen, ich wollte etwas sehen, ich wollte etwas ausprobieren. Aber Fernsehen? Darauf wäre ich nie gekommen – und ehrlich gesagt, hatte ich da eigentlich auch gar keinen Bock drauf. »Guck’s dir mal an, ist ganz gut gemacht«, beharrte Oliver. »Okay, ich schaue es mir mal an, versprach ich ihm, und so gingen wir an diesem Abend auseinander.

Fast hatte ich das Gespräch vergessen. Doch Oliver stellte den Kontakt zur Produktionsfirma Sony Pictures her, und ich erhielt unerwartet eine Powerpoint-Präsentation, die das TV-Format erklärte. «Die Höhle der Löwen” empfand ich zunächst als einen etwas affigen Namen – und so richtig klar war mir immer noch nicht, wie ich in die Sendung passen sollte, aber dann habe ich mir Shark Tank aus den USA angesehen. Auch diese Sendung wurde von der Sony produziert, sozusagen von unseren Kollegen. Mittlerweile gibt es das Format erfolgreich in über 25 Ländern. In Großbritannien heißt die Sendung Drachenhöhle, in Afghanistan Träume und erreiche, in Finnland Löwenmaul, in Japan Geld-Tiger und in Slowenien Gutes Geschäft. Ich habe mir damals nur Shark Tank angesehen, aber das hat mir richtig gut gefallen. Die Sendung hat mittlerweile mehrere Prime-Time-Emmys gewonnen und ist in den USA Family-Show Nummer Eins. Kein Wunder, denn bei unseren Kollegen waren schon damals richtig gute Leute dabei: Einer der Sharks war Daymond John, der Gründer der Klamottenmarke FUBU, oder Mark Cuban, der mit der Übertragung von Sport-Events im Internet zum mehrfachen Milliardär wurde und dem das Basketballteam Dallas Mavericks gehört. Und so kam ich dann doch ins Grübeln, ob ich meine anfängliche Ablehnung nicht aufgeben und es mir wenigstens mal anschauen sollte.

Immer, wenn ich mich irgendwo nicht auskenne, frage ich Menschen, die in dem jeweiligen Bereich Erfahrung und Expertise haben. Ein Bekannter von mir ist mit einer TV-Moderatorin verheiratet, und er war nicht der einzige, der mir sagte:»Frank, du bist gerade voll in der richtigen Spur, du bist erfolgreich, deine Karriere liegt noch vor dir. Tu dir das nicht an. Wenn das schief geht, bist du verbrannt!« Ehrlich gesagt haben fast alle, die ich gefragt habe, ähnlich reagiert und gewarnt:»Finger weg!«.

Alle Business-Shows in Deutschland waren bisher gescheitert. Oder erinnert sich jemand an einen grandiosen Erfolg von The Big Boss mit Reiner Calmund? Im amerikanischen Original hieß es The Apprentice, und da war es tatsächlich ein Quotenhit, aber die hatten auch Donald Trump als Big Boss. In Deutschland hörte ich von weinenden Producern hinter den Kulissen und verzweifelten Senderverantwortlichen, wenn sie morgens fassungslos auf die enttäuschenden Quoten starrten. Im Gegensatz zu der Heerschar der Leute, die mir abrieten, gab es auch eine positive Stimme: meine Startup-Weggefährtin Verena. Sie war als Unternehmerin einmal zu Gast in Stefan Raabs Polit-Talkshow »Absolute Mehrheit« gewesen. Damit galt sie für mich bereits als TV-Expertin. Verena erzählte mir eine Geschichte, die mich eigentlich hätte abschrecken müssen: Sie sei damals gemeinsam mit dem FDP-Politiker Wolfgang Kubicki, dem damaligen Parlamentarischen Geschäftsführer der SPD, Thomas Oppermann, dem CDU-Mann Michael Fuchs und dem Linken-Politiker Jan van Aken eingeladen gewesen. Und weil sie sich mit Kubicki ganz gut verstanden habe, sei man mit einer Umarmung zur Verabschiedung auseinander gegangen. Am nächsten Morgen sei sie von Köln nach Berlin zurückgeflogen – und in Berlin am Kaffeestand habe eine Frau sie angesprochen: Ob sie was mit Kubicki gehabt hätte? Das hätte doch in der Zeitung gestanden! Verena kaufte sich also eine BILD und fand darin ein Foto von Kubicki und sich, auf dem es so aussah, als ob die beiden sich statt einer Umarmung zum Abschied regelrecht geküsst hätten. Und darunter die Schlagzeile: »Kubickis Sofa-Flirt«. Im Artikel hieß es über Verena: »Sie busselte und tätschelte den FDP-Oldie«. Dabei ist überhaupt nichts zwischen den beiden gewesen. Verena hat sich fürchterlich über diesen Umgang der Medien mit ihr geärgert, auch wenn nach ein paar Wochen wieder Gras über die Sache gewachsen war. Trotz dieser negativen Erfahrung war Verena die Einzige, die mir sagte: »Mach doch! Warum nicht?« Eigentlich sei das Feedback auf ihren TV-Auftritt recht gut gewesen, und trotz des größten anzunehmenden Unfalls mit der peinlichen Schlagzeile in der BILD hätte sie ihn als positive Erfahrung verbucht. Und wenn mir Ähnliches widerführe, könne ich doch einfach abtauchen, bis die nächste Sau durchs Dorf getrieben werde. Danke, Verena!

Daraufhin habe ich mit Nathalie diskutiert. Wir haben alle Pros und Kontras ausgetauscht und gemeinsam folgenden Plan gefasst: Ich versuche das – und wenn es schiefgeht und ich tatsächlich zum Affen der Nation werde, dann ziehe ich mich wirklich für ein halbes Jahr nach Mallorca zurück. Danach würden alle die Show und meinen Auftritt vergessen haben, und ich könnte da weitermachen, wo ich falsch abgebogen war.

Franky goes to Hollywood

Beinahe wäre mein Job beim Fernsehen dann doch noch in letzter Minute geplatzt: Ausgerechnet an dem Tag, an dem VOX Die Höhle der Löwen ankündigte, gaben wir das Scheitern meiner Dokumenten-App doo bekannt. Wie gesagt, ich war noch kein Medienprofi, sonst hätte ich damit noch ein, zwei Tage gewartet. Scheitern ist bekanntlich in Deutschland nicht gerne gesehen – und plötzlich wurden Stimmen laut, mich gar nicht erst in der Sendung stattfinden zu lassen. Menschen riefen bei der Produktionsfirma an und forderten: »Nehmt den Thelen raus, der kann es einfach nicht!« Aber Sony hat überhaupt nicht mit der Wimper gezuckt: Sie hatten mich gecastet – und meine Expertise und mein Zugang zur deutschen Gründer- und Startup-Szene waren unbestritten. Also blieb es dabei – und ich wurde ein »Löwe«. Danke für dein Vertrauen, Astrid!

Ich bin in die TV-Show naiv reingestolpert wie ein schlecht angezogener IT-Geek in die Oscar-Verleihung. Wenn ich mich im Nachhinein frage, weiß ich gar nicht, was ich dort eigentlich erwartet hatte – aber jedenfalls nicht das, auf was ich dann gestoßen bin. Die Aufzeichnungen für Die Höhle der Löwen finden in Köln-Ossendorf statt, in wenig glamourösen, etwas industriell anmutenden TV-Studios. Ich kam dort ganz alleine an, hatte meinen Rucksack auf der Schulter, keinen Berater, Kommunikationsdirektor oder gar Manager an meiner Seite. Kein Mensch wusste, wer ich war – wie denn auch? –, und es dauerte eine ganze Weile, bis ich meine Garderobe gefunden hatte. Für mich war das ein echter Kulturschock. In Startups macht oft jeder zwei bis drei Jobs gleichzeitig. Aber hier! Hier waren hundert Leute am Set, alleine acht Kameraleute mit acht Kabelträgern! Und dann noch ein Mitarbeiter, der ausschließlich dafür zuständig war, das Löwenfeuer an- und wieder auszumachen. Eine Mitarbeiterin, die meine Frisur richtete, eine zweite, die sich um meine Klamotten kümmerte, und eine dritte, die für mein Make-up da war. Ja, heute weiß ich es auch: Man glänzt, wenn man nicht abgepudert ist. Dennoch: Ich habe noch nie so viele Leute auf einem Fleck hin und her wuseln sehen. Trotzdem schien jeder zu wissen, was er tat – außer mir, ich war immer noch sehr unsicher. Und ich fragte mich: Wer soll das bloß alles finanzieren? Ich sah mit meinem Unwissen VOX schon in die Insolvenz schlittern – sorry, Berufskrankheit von mir. Ich war ahnungslos, dass es bei einer großen Fernsehshow anscheinend immer so zugeht. Heute weiß ich, dass nur so alles reibungslos ablaufen kann.

Bei einem Abendessen im Vorfeld hatte ich schon Judith Williams und Lencke Steiner kennengelernt. Vural Öger und Jochen Schweizer kamen jetzt auch dazu, und das waren für mich beeindruckende Namen. Große Unternehmerpersönlichkeiten, vor denen ich wirklich Respekt hatte. Ich war sehr froh, denn naiverweise hatte ich bei meinen Verhandlungen nicht einmal gefragt, wer denn die anderen Löwen waren. Es hätte also wirklich ordentlich in die Hose gehen können… Am Tag vor den ersten Aufzeichnungen hatten wir so eine Art Workshop, eine Teambuilding-Maßnahme für uns »Löwen«. Man hatte eine Trainerin vom Theater engagiert. Sie hat mit uns Lockerungsübungen gemacht, lustige Klatsch-Spielchen, oder eine Übung, in der wir mit unseren Körpern Giraffen bauen sollten. Das fühlte sich am Anfang ein bisschen komisch an, war aber gar nicht blöd, denn es hat uns wirklich in kürzester Zeit einander nahegebracht. Man öffnet sich und verliert ein wenig die Scheu. Da habe ich echt was gelernt – und wir »Löwen« haben eine Menge gelacht. Wieder eine neue Erfahrung. Ich bin froh, dass ich mich auf sie eingelassen habe, und möchte sie nicht mehr missen.

In diesem Coaching regte ich an, dass wir Löwen uns untereinander duzen. Ich hatte mir gar nichts dabei gedacht, denn ich duze immer alle, das ist so eine Art signature move von mir. Dieses Duzen ist so gemeint, wie es die Skandinavier machen, es drückt gar nicht Vertrautheit oder gar Missachtung aus, nur eine Art des freundlichen Miteinanders, das eine entspannte Atmosphäre schafft – oder zumindest schaffen soll. Das gab ein paar Diskussionen, Jochen Schweizer und Vural Öger taten sich zunächst schwer, aber ließen sich dann doch darauf ein. Wie gesagt, ich hatte mir gar nichts dabei gedacht. Heute weiß ich, dass es auch die Haltung des Pitchenden verändert, wenn er auf ein Löwenrudel trifft, das per Du ist. Es macht einen Unterschied, ob man vor fünf solitären Persönlichkeiten auftritt oder vor einer Fünfereinheit, es erhöht einfach den Druck. Vielleicht war auch das ein kleiner Baustein zum Erfolg der Show.

Heute darf man vielleicht einige von den Anekdoten und Hintergrundgeschichten erzählen. Die Höhle der Löwen wird inzwischen fast nur noch DHDL genannt und ist ja eine grandiose Erfolgsgeschichte geworden. Aber in der ersten Aufzeichnung stieg mein Blutdruck von Pitch zu Pitch. Bisher war ich qualitativ hochwertige Startups mit herausragenden Gründern gewohnt, mit klaren Geschäftsmodellen und durchdachten Businessplänen. Doch die ersten zehn Pitches in der ersten Staffel DHDL waren – die Kollegen von VOX und von Sony mögen es mir heute verzeihen – großer Mist. Das kann man niemandem vorwerfen, keiner kannte das Format. Und es war vermutlich gar nicht so leicht, gute Gründer dazu zu bewegen, in einer TV-Show ihr Produkt zu präsentieren und vor Millionen Zuschauern auch eigentlich geheime Details zu diskutieren. Deshalb war das Niveau am Anfang, na ja, überschaubar. Da war eine Frau, deren Idee es war, High Heels mit lustigen Teddybär-Aufklebern zu verzieren. Ein anderer hatte einen Brötchen-Dreher-Toaster-Aufsatz gebaut, der unfassbar schlecht konstruiert und verarbeitet war. Keiner von uns wollte investieren. Denn es ist tatsächlich so: Wir investieren unser eigenes Geld. Das ist nicht das Geld vom Sender, von der Produktionsfirma oder von irgendwelchen Werbekunden. Dem Fernsehen wird ja gern jede Niederträchtigkeit unterstellt, aber ich lege die Hand dafür ins Feuer, dass es bei der Höhle der Löwen mit rechten Dingen zugeht. Sonst wäre ich auch heute nicht mehr dabei.

Keiner von uns wollte also sein eigenes Geld in Aufkleber für High Heels oder in einen mangelhaften Brötchen-Wender investieren. So ging es zehn Pitches lang. Aber wenn die Löwen nicht investieren, kann das Format nicht funktionieren. Also zogen wir uns zurück. Pause. Beratung. So geht das nicht, sagten wir uns. Vural, Judith und ich saßen in der Löwen-Lounge, waren ein wenig niedergeschlagen und fassten einen Plan. Heute wäre das nicht mehr nötig, weil das Format angenommen wurde, ausgereift ist und funktioniert – aber damals haben wir uns vorgenommen: Let’s go! In das nächste Ding investieren wir einfach mal, egal was es ist. Jeder von uns übernimmt ein Drittel des benötigten Kapitals. Damals waren wir froh über jeden Deal. Heute machen wir eher zu viele als zu wenige Deals, aber heute sind wir auch viel erfahrener und nicht mehr ganz so ängstlich.

Mit dem Vorsatz zu investieren, egal was es werden würde, gingen wir also zurück ins Studio. Gespannt wie Flitzebögen warteten wir auf den nächsten Pitch. Auch das ist im Übrigen ein immer wiederkehrender Verdacht, zu dessen Aufklärung ich beitragen kann: Wir wissen wirklich nicht, wer als Nächstes was präsentiert. Die Gründer und wir werden vor den Aufzeichnungen auch räumlich streng voneinander getrennt, sodass wir uns nicht zufällig auf dem Gang über den Weg rennen und uns kennenlernen können. Wir saßen also auf unseren Sesseln – und das nächste Produkt war dann: ein Sandsack. Ja, genau, richtig gehört: ein Sandsack! Aber nicht irgendein Sandsack, nein, das war ein Sandsack, den man sich auf den Kopf legen sollte, wenn man Migräne hat oder dieser vorbeugen wollte. Wir drei tauschten verstohlene Blicke aus und konnten ein Lachen kaum zurückhalten, aber keiner stieg aus. Und so wurde dies der Tag, an dem Judith Williams, Vural Öger und Frank Thelen 100.000 Euro in einen roten Sandsack investierten… Der Deal kam dann letztlich doch nicht zustande, da der Sandsack nicht hielt, was er versprochen hatte, im Gegenteil sogar eventuell schädlich für Migränepatienten war. Der große Durchbruch für den roten Sandsack – ohne ein Investment der »Löwen« – steht auch heute noch aus.

Ein geplatzter Deal ist für keinen erfreulich. Für uns nicht, für die Unternehmer nicht und für die Fernsehzuschauer erst recht nicht. Wir wollen so etwas unbedingt vermeiden – aber es ist ausgeschlossen, in den ein bis zwei Stunden Aufzeichnung pro Pitch alle für einen Deal relevanten Fakten abzufragen und zu überprüfen. Keiner ist online, wir sind ganz auf uns alleine gestellt, eine Recherche ist unmöglich. Und manchmal passiert es eben, dass in der anschließenden Due-Diligence-Prüfung herauskommt, dass manche Angaben nicht der Wahrheit entsprechen oder wichtige Dinge – wie zum Beispiel laufende Gerichtsverfahren – nicht erwähnt wurden. Manchmal sind auch die präsentierten Produkteigenschaften oder die Kunden- und Umsatzzahlen in der realen Welt andere als die, die uns im Studio präsentiert wurden. Und wenn die Realität des präsentierten Unternehmens nicht mit der Darstellung im Studio übereinstimmt, kommt das Investment von mir nicht zustande. Das macht keine Freude, wenn der Deal platzt, aber ich bin hier sehr konsequent: Ich investiere meine Zeit und mein Kapital nur, wenn der Gründer, die Idee und der Pitch passen. Das sind oftmals sehr schwierige Entscheidungen.

Zwischen dem ersten Aufzeichungstag der Show und der TV-Ausstrahlung liegen sechs bis acht Monate. Das war zu Beginn eine merkwürdige Phase, da wir nicht wussten, ob wir eine interessante und unterhaltsame Show produziert hatten. Zwei Wochen vor der Ausstrahlung wurden deutschlandweit Plakate mit unseren Gesichtern aufgehängt. Das war auch ganz komisch, sich selbst so zu sehen, zumal ich mich auch nicht ganz optimal getroffen fühlte – aber wer mag sich selbst schon auf Fotos?

Für die erste Ausstrahlung hatte Judith Williams uns alle nach München eingeladen. Alle Löwen, Partner und Freunde waren gekommen. Im Bayerischen Hof saßen wir also bei Würschtl und Bier und warteten gespannt, was passieren würde. Und als Erstes passierte etwas, was einerseits super, andererseits aber auch eine Katastrophe war: Die Server, auf denen die Websites der Startups lagen, konnten die Menge an Besuchern nicht verarbeiten und stürzten ab.

Frank Thelen DHDL
Während der ersten Ausstralung versuchte ich die Server zu stabilisieren

Klar, das war einerseits ein gutes Zeichen dafür, dass es offensichtlich ein gewisses Interesse für die Sendung und die darin vorgestellten Startups gab. Andererseits konnten wir dieses Interesse überhaupt nicht bedienen, wenn die Websites wegen Überlastung nicht zu erreichen waren. Das war selbst für mich als Techniker eine neue Erfahrung – und die trübte ein wenig den Genuss der ersten Ausstrahlung, weil ich nach dem ersten Pitch bis zum Ende der Sendung in Telefonkonferenzen mit meinen Technikern hing und versuchte, unsere Server zu reanimieren. Nachher stellte sich heraus, dass wegen des großen Ansturms auf die Website eines der vorgestellten Startups der gesamte Hoster zusammengebrochen war. Die armen Mitarbeiter im Serverzentrum wussten erst gar nicht, wie ihnen geschah, und dachten, die Russen oder Chinesen würden mit einer DDoS-Attacke angreifen. Leider waren die Websites erst nach der Sendung wieder erreichbar. Aus technischer Sicht war das sehr enttäuschend, aber es zeigte das große Interesse an unserer neuen Show – und das war natürlich fantastisch.

Entscheidend für den Erfolg einer solchen Sendung ist immer die Einschaltquote. Wie die ermittelt wird, war für mich als Neuling zunächst ziemlich schockierend. Die Quoten werden von der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) gemessen. Die Mitglieder von 5100 repräsentativ ausgewählten Haushalten müssen zusätzlich einen Knopf auf ihrer Fernbedienung drücken, und dann wird ihr Fernsehverhalten sekundengenau gemessen. Natürlich war mir das anfangs unbegreiflich: Warum errechnet man mit nur 5100 Menschen die Quote? Verrückt. Aber nun gut, so arbeitet halt das Fernsehen mit seinen alten Strukturen. Es sei repräsentativ, wurde mir versichert. Bei einem Privatsender wie VOX ist besonders der Marktanteil der 14- bis 49-Jährigen wichtig, also der Anteil derjenigen, die in ihrem Markenverhalten noch nicht so festgelegt sind. Denn so ein Privatsender mit seinen vielen Mitarbeitern und Produktionsteams finanziert sich ja vor allem durch Werbung. An jedem Tag werden gegen 8:20 Uhr die Quoten des Vortages veröffentlicht: Wir hatten direkt zum Start 1,8 Millionen Zuschauer, was 8,4 Prozent in der umworbenen Zielgruppe der 14 bis 49-Jährigen entsprach – und das war ein Bombenerfolg! In der ersten Staffel steigerten wir uns noch auf über 20 Prozent und sind inzwischen die erfolgreichste VOX-Produktion aller Zeiten – aber das konnte zu diesem Zeitpunkt noch keiner ahnen. Gegen alle Unkenrufe, gegen alle Warnungen: Die Höhle der Löwen ist zu einem der erfolgreichsten Formate im deutschen Fernsehen geworden. Ich bin froh und dankbar, dass ich ein Teil dieser unglaublichen Erfolgsgeschichte sein darf.

Plötzlich ein Star

Am Tag nach der ersten Ausstrahlung lief ich durch den Flughafen in München – und plötzlich stürmte eine Horde junger Mädchen auf mich zu. Es ging schon so Richtung Oktoberfestzeit, und sie waren, ich nenne es mal so, »gut gelaunt«. Großes Gekreische, ob ich nicht ein Foto mit ihnen machen könne. Ich fühlte mich wie im falschen Film. Menschen wollten ein Selfie mit mir! Die Mädchen waren nett, es war lustig, aber ein Selfie hatte bis dato noch keiner von mir gewollt. Ich fühlte mich ein wenig deplatziert.

Heute weiß ich: Manchmal hat dieser »Prominenten«-Status auch Nachteile. Ich war einmal mit Nathalie auf einem größeren Empfang, musste kurz auf die Toilette und ließ meine Frau an der Bar zurück. Sowohl auf dem Weg zur als auch auf dem Weg zurück von der Toilette musste ich sehr viele Selfies machen, Autogramme geben oder wurde in Gespräche verwickelt, sodass ich erst über eine Stunde später wieder zurück zu Nathalie fand. Sie war – zu Recht – stinksauer. Es ist manchmal gar nicht so leicht, die Balance zu finden: Einerseits wollte ich Nathalie natürlich nicht so lange alleine lassen, andererseits kann man ja auch nicht durch den Raum gehen und so tun, als würde man die Autogramm- und Selfiejäger nicht wahrnehmen. Als ich einmal zu einer Podiumsdiskussion über Startups mit Angela Merkel und dem SAP-Gründer Hasso Plattner eingeladen war, traf ich drei langjährige Weggefährten. Im Anschluss an die Diskussionstand ich mit ihnen noch auf ein Bier zusammen, wurde aber so oft angesprochen und abgelenkt, dass einer der drei sagte: »Frank, mach du mal deine Selfies, wir sind weg.« Aus dem Dilemma kommt man manchmal nicht raus. Aber hey, das ist jetzt Jammern auf hohem Niveau. Mittlerweile habe ich mich an die Selfies gewöhnt – 99 Prozent der Menschen, die nach einem Foto fragen, machen das auch sehr freundlich, und ich erfülle diese Wünsche gerne, obwohl ich mich immer noch nicht als »Prominenter« fühle. Bevor ich vor die Kamera gegangen bin, hat mir die Sony-Fernsehchefin gesagt: »Frank, wenn ich dich groß rausbringe, musst du mir eines versprechen – dass du niemals zum arroganten Arsch wirst.« Sie ist eine der Großen und sehr Erfahrenen im Showbusiness, sie hat viele kommen, aber auch wieder gehen sehen. Ich habe mir daher ihren Hinweis sehr zu Herzen genommen und hoffe, dass andere auch sehen, dass ich mich zumindest bemühe.

Als ich zum ersten Mal zu einer Preisverleihung eingeladen war, war ich wie erschlagen von diesem roten Teppich. Ich wollte daran vorbeigehen, weil ich entdeckt hatte, dass es auch einen ganz normalen Eingang an der Seite gibt. »Komm, Vural, wir schleichen uns rein!«, sagte ich zu Vural Öger – aber unsere DHDL-Berater sagten: »Nix da, ihr geht schön über den roten Teppich!« Und kaum waren wir da, fingen wirklich über 100 Fotografen an zu schreien: »Fraank, Vuural, Juudith, Fraank!«, so als wären wir Matt Damon, Kate Winslet und Leonardo DiCaprio. Aber so bin ich einfach nicht. Blitzlichtgewitter passt nicht zu mir. Ich weiß, das gehört dazu. Und heute weiß ich auch, dass sich einige Frauen tagelang auf diese drei Minuten vorbereiten: Ist das Kleid so abgeklebt, dass man die Brustwarze gerade so eben nicht sieht, aber erahnt? Acht einstudierte Posen werden abgespielt, keine Sekunde ist natürlich oder wird dem Zufall überlassen. Und dann komme ich in meinen Turnschuhen, Jeans, schwarzem Hemd, noch einen letzten ConfCall in meinen AirPods, und in dem Moment, in dem ich die Fotografen schreien höre, fällt mir ein: Mist, der letzte Friseurbesuch ist acht Wochen her! Ich fühle mich etwas verloren in dem Blitzlichtgewitter schreiender Fotografen und fange an durchzurechnen: 100 Fotografen, die müssen alle davon leben. Was kriegt man für ein Foto von Judith Williams und Frank Thelen? Und das durch 100. An wen verkauft man das? Wer druckt das ab? Und wer bezahlt Geld dafür, dass man das sehen kann? An solche Dinge denke ich auf dem roten Teppich – und nicht an Posen oder die perfekt sitzende Jeans. Vielleicht sehe ich deshalb auf Fotos nicht so hübsch aus wie Lena Gercke. Vielleicht bin ich aber auch einfach nicht so hübsch wie Lena, wer weiß…

Es gibt übrigens sogar Mädels, die zur Veranstaltung gar nicht eingeladen sind und nur über den roten Teppich laufen, hinten wieder ins Auto steigen und dann wieder nach Hause fahren. Und wenn es eine Frau ist, die mit einem Modedesigner einen Ausstattervertrag oder einen erfolgreichen Instagram-Account hat, verdient sie sogar Geld damit. Eine verrückte und spannende, aber wirklich nicht meine Welt.

Was mir sehr wichtig ist: DHDL ist für mich ein ernsthaftes Geschäft. Ich weiß, dass es auch um Entertainment geht. Auch für mich ist es eine große Ehre, den Deutschen Fernsehpreis zu gewinnen oder für die Goldene Kamera und den Grimme-Preis nominiert zu sein. Aber in erster Linie geht es mir um exzellente Gründer mit starken Produkten und einem überzeugenden Geschäftsmodell. Ich will die Rohdiamanten finden und groß machen. Das ist meine Berufung, das ist meine Leidenschaft – und so wird es auch immer bleiben.

Was am Set passiert

Wie gesagt: Wir investieren unser eigenes Geld – und wir haben keine Ahnung, wer der nächste Gründer ist, in welchem Markt sein Produkt ist und ob er 10.000 Euro oder eine Million Euro will. Das hat Konsequenzen für mein Verhalten in der Höhle der Löwen: Ich bin hochkonzentriert, wenn ich im Studio sitze und die Gründer durch den goldenen Bogen kommen. Uns steht nur wenig Zeit zur Verfügung, den oder die Unternehmer kennenzulernen, und ich muss erkennen, ob da ein herausragender Gründer vor mir steht. In Echtzeit baue ich dann eine Matrix zu dem Startup auf – in etwa wie ein Schachspieler ohne Brett und Figuren: Ist der Gründer strukturiert, steht er wirklich hinter seinem Produkt? Wie kann ich das Produkt skalieren? Kann ich durch eine kleine Ergänzung oder Änderung das Business deutlich größer machen? Und sage ich es dem Gründer, oder mache ich die anderen Löwen damit zu heiß auf den Deal? Oft muss man den Gründern wichtige Infos sogar aus der Nase ziehen, weil sie selbst bestimmte Dinge nicht bedacht haben oder den Wald vor lauter Bäumen nicht sehen. Das darf ich aber nicht so machen, dass die anderen Löwen merken, worauf ich hinauswill, denn so könnte ich meinen geheimen Plan verraten – zum Beispiel, dass man das Produkt in China verkaufen könnte oder dass es ganz effektiv mit einem anderen Produkt kombinierbar wäre und so weiter. Springe ich jetzt nach vorne, biete eine höhere Summe und zwinge den Gründer, sich sofort zu entscheiden? Andererseits will ich das bisher sehr faire Verhältnis zwischen uns Löwen auch nicht zerstören… Das ist immer eine wirklich hoch angespannte Situation, ein schwieriger und komplexer Moment, der ein Bauchgefühl für den Menschen vor mir verlangt – und bei dem ganz viel eigenes Geld im Spiel ist.

Frank Thelen: Verbotene Farbschlacht im DHDL Studio
Verbotene Farbschlacht im DHDL-Studio

Ganz, ganz selten – wenn ich nach wenigen Minuten merke, der Deal ist nichts für mich, weil die Frau da vorne zu Hause Marmelade einkocht und sie auf Jahrmärkten verkaufen will oder weil ich partout nicht ins Hufeisen-Business einsteigen will – schalte ich bewusst in den Entertainment-Modus. Dann nehme ich mir die Freiheit, ein bisschen Spaß zu machen. Das kann aber auch mal nach hinten losgehen: Es gab in einer Folge einen Unternehmer, der für zwei Euro Farbbeutel mit Pulver in verschiedenen Farben hergestellt hat. Mit denen kann man auf Festivals um sich werfen, sodass alle mit diesen Farben eingesaut sind. Das Ganze ist eine Tradition aus Indien, mit der ursprünglich das hinduistische Frühlingsfest Holi gefeiert wurde. Mittlerweile gibt es ganze »Festivals of Colour«, die unabhängig davon stattfinden und vornehmlich kommerzieller Natur sind. Insofern gar keine schlechte Geschäftsidee, aber nichts für mich, ich war raus. Ich dachte mir, jetzt packe ich auch mal den großen Entertainer aus. Einige Moderatoren haben ja so einen Regie-Knopf im Ohr, mit denen sie wichtige Informationen aus der Regie bekommen. Ich habe so ein Ding nie, also wusste ich in dem Moment nicht, dass es bei diesem Pitch mit dem Farbpulver eine einzige klare Ansage gab: Auf gar keinen Fall das Pulver im Studio testen – vor allem nicht in der Nähe der Sessel! Ich hatte das wie gesagt nicht mitbekommen und dachte mir, es wäre doch lustig, wenn ich das Pulver mal ausprobiere und der Produktion ein paar spektakuläre Bilder liefere. Also schnappte ich mir vier Packungen. Ich sah nur noch die entsetzten Augen von Carsten Maschmeyer und merkte, wie Judith Williams mir aus ihrem weißen Sessel etwas zuzischen wollte. Offenbar hatten alle von dem Verbot erfahren, nur ich nicht. Ich startete eine Farbschlacht und feuerte jedem Löwen eine andere Farbe über den Kopf. Schnell ignorierten die anderen die klare Ansage und griffen ihrerseits ebenfalls nach Farbbeuteln. Liebe Requisiteure, die ihr im Anschluss eine Nachtschicht damit verbracht habt, die Sessel bis zum nächsten Morgen sauber und wieder drehfertig zu machen mit Kleiderbürste, Fleckensalz und Möbelshampoo: Sorry – und der nächste Bierabend geht auf meinen Deckel… Sonst ist das ja auch eher nicht so meine Art. In der Regel sitze ich da und bin ganz angespannt und konzentriert.

Richtig sauer bin ich nur einmal geworden. Da trat eine Frau auf, die auf die Frage, warum sie sich selbstständig machen wolle, geantwortet hat, sie sei lange fest angestellt gewesen und habe da so viel arbeiten müssen. Ihr Traum sei jetzt die Selbstständigkeit, weil sie kürzertreten und endlich weniger arbeiten wolle. In solchen Momenten vergesse ich, dass ich in einem TV-Studio sitze. So eine unfassbare Dummheit trifft mich ins Mark. Zum einen war es in diesem Fall die Verkennung der Realität, dass der Aufbau eines Unternehmens und die Verantwortung für ein Team und ein Produkt sowohl zeitlich als auch mental jeden festen Job als extrem entspannt erscheinen lassen. Zum anderen war diese Aussage eine Beleidigung für alle echten Gründer, die sich für ihre Vision, ihr Produkt und ihre Leidenschaft das Herz rausreißen. »Weniger arbeiten« hatte ich als Motivation fürs Gründen zuvor noch nie gehört – und es scheint mir aus meiner Erfahrung heraus auch kein Erfolgsfaktor zu sein. Außerdem hat diese Frau mit ihrem rücksichtslosen und ignoranten Auftritt einem anderen, motivierteren Gründer den Platz und damit die Chance genommen, sich und seine Idee zu präsentieren.

Denn die meisten Gründer sehen in ihrem Auftritt in der Höhle der Löwen die Chance ihres Lebens – oft durchaus zu Recht. Sie bereiten sich intensiv vor und versuchen, den besten Pitch abzuliefern und auf alle Fragen vorbereitet zu sein. Also ist es nur fair und angemessen, dass wir ihnen zuhören und ihre Idee wohlwollend, aber auch ernsthaft und streng prüfen. Das sind für uns »Löwen« im Allgemeinen und für mich im Besonderen ganz intensive Minuten, in denen ich für das gesamte Team meiner Beteiligungsfirma Freigeist Capital mitdenken muss. Ich kann mich nicht mit meinen Partnern abstimmen, aber sie müssen im Nachhinein meine Entscheidung mittragen. Also darf ich mir keine Fehler erlauben. Deshalb habe ich – der eine oder andere wird ihn vielleicht schon mal gesehen haben – immer einen Spickzettel vor mir, auf dem ich mir die wichtigsten Parameter aufgeschrieben habe. Sie entspringen 20 Jahren Erfahrung aus vielen bitteren Niederlagen, aber auch großartigen Erfolgen. Der Zettel enthält Fragen nach dem Produkt, nach dem Team, nach dem vorhandenen Markt und den Wettbewerbern, Fragen nach dem Vertrieb, nach der rechtlichen Schützbarkeit des Produkts, nach der Planung für die nächsten zwölf Monate, nach den Finanzen und schließlich auch Fragen nach den Erwartungen der Gründer an uns »Löwen«.

Der Spickzettel hilft mir, damit ich nichts vergesse. Aber er kann auch potenziellen Gründern helfen, deshalb veröffentliche ich ihn hier in meinem Buch zum ersten Mal. Diese Geheimwaffe habe ich bisher auch keinem der anderen »Löwen« gezeigt:

Und du siehst, welche Checkliste ich innerlich bei jedem Pitch abarbeite. Nach zehn heftigen Stunden und sieben bis acht solchen Pitches im Studio bin ich immer im roten Energiebereich. Ich werde mittlerweile netterweise nach Hause gefahren, schicke noch auf der Fahrt im Taxi meinem Freigeist-Team ein paar Voice Messages, mit denen ich die getätigten Deals kurz umreiße, und setze mich zu Hause dann mit Nathalie noch auf ein Glas Castell Miquel zusammen. Nach 15 solcher Drehtage ist dann eine weitere Staffel im Kasten – doch für mich und mein Freigeist-Team fängt die Arbeit jetzt erst richtig an!

»Nicht stören, Löwe schläft.«

Auf jeden Fall ist es aber ein Glücksfall, mit Menschen wie Vural Öger, Jochen Schweizer, Lencke Steiner, Carsten Maschmeyer, Dagmar Wöhrl, Ralf Dümmel, Georg Kofler und Judith Williams zusammenzuarbeiten! Ich habe von jedem und jeder Einzelnen viel gelernt, und es ist spannend zu beobachten, wie erfolgreiche Unternehmer ihren Alltag, aber auch ihre Unternehmen organisieren.

Judith ist mein Sonnenschein des »Löwenrudels«. Von ihr habe ich gelernt, Produkte mit Begeisterung zu verkaufen. Was sie in die Hand nimmt, betrachtet sie mit einer liebevollen Euphorie, die man bei uns Deutschen nicht so häufig findet. Sie strahlt und leuchtet – und sie ist wirklich so. Sie ist eine herzensgute Person, sicher nicht die knallharte Analystin, aber Judith geht an die Produkte emotional ran und findet immer eindrucksvolle Verkaufswege. Judith gibt immer Vollgas. Manchmal will ich sie zwingen, Dinge in Ruhe mit mir zu besprechen, aber das gelingt mir selten. Sie hat einfach zu viel Energie und immer neue Ideen. Ich bin glücklich, dass Judith und ihr Mann Alexander inzwischen Freunde von Nathalie und mir geworden sind.

Von Ralf Dümmel habe ich viel gelernt. Er hat mir gezeigt, wie der Handel funktioniert und wie viel Umsatz man hier machen kann! Vorher lebte ich in meiner Web-, App- und Online-Blase, und ich hatte völlig vergessen, dass es Supermärkte gibt, in denen die Menschen einkaufen, weil sie etwas zum Essen brauchen. Ich hatte nie bedacht, dass die Menschen so unfassbar viel essen. Und das sogar täglich! Versteht mich nicht falsch, natürlich ging ich auch vorher schon in Supermärkte, und ich weiß auch, dass Menschen täglich essen – aber ich habe nie hinterfragt, wie Supermärkte funktionieren, warum und wie welche Ware wo zu finden ist und wie sie dahin kommt. Die Art und Weise, wie effektiv und einfach Ralf seine Ware in den Handel bringt, hat mich wirklich begeistert. Das hat mich mitgerissen – und sehr vieles, was ich heute über den Handel weiß, habe ich von Ralf Dümmel gelernt. Ralf macht aber zwei Dinge anders als ich: Er geht mehr über das Produkt, ich gehe über den Gründer. Ich suche Unternehmer, die unabhängig von mir ihren Weg gehen. Ralf sucht das Produkt, das er mit seiner eindrucksvollen Maschinerie groß machen kann. Der zweite Unterschied ist: Ralf geht auch in den Discount. Er hat kein Problem, auch mal 80 Prozent Rabatt auf ein Produkt zu geben, ich hingegen lehne Discount kategorisch ab. Ich kann mir unsere Produkte bei Aldi, Lidl, Penny & Co. einfach nicht vorstellen. Aus diesen beiden Gründen werden Ralf und ich vermutlich im Foodbereich nie zusammenarbeiten. Er vermarktet Produkte anders und baut Unternehmen anders auf. Aber Ralf ist ein zu 100 Prozent korrekter Kerl, wir verstehen uns persönlich hervorragend, und die Power von seinem Unternehmen DS beeindruckt mich immer wieder – Respekt! Und Ralf spielt es nicht nur, er freut sich wirklich wie ein Kind, wenn er nach einem intensiven Löwenkampf den Deal gewinnt. Er macht es mit Herzblut und Begeisterung. Okay – über die Anzüge und die Glitzerschuhe mit den roten Sohlen müssen wir noch mal reden, Ralf!

Carsten Maschmeyer, man mag es gar nicht glauben, ist hinter den Kulissen ein sehr lustiger Löwe. Er hat ein verstecktes Talent und haut wirklich einen Spruch nach dem anderen raus. Carsten, so solltest du auch sein, wenn die Kameras an sind! Ich weiß, dass er eine viel diskutierte Vergangenheit hat, hierzu soll und kann sich jeder sein eigenes Urteil bilden. Mir gegenüber hat er sich bisher immer fairund korrekt verhalten, und ich schätze ihn als Co-Löwen. Auch meine Gründer sind mit ihm und seinem Seed+Speed-Team sehr zufrieden.

Dagmar Wöhrl kam als bisher neueste Kollegin zu uns. Wir haben zu wenig Frauen-Power in unserer Branche, daher freue ich mich, wieder zwei Kolleginnen zu haben. Dagmar hat viele Jahre in der Politik verbracht, ein sehr starkes Familienunternehmen hinter sich und ein eindrucksvolles Netzwerk. Bisher hatte sie aber wenig Erfahrungen mit Startups, hat sich jedoch schnell eingefunden und bereits erste erfolgreiche DHDL-Deals. Ich bin sehr gespannt, wie sich ihre Rolle als Löwin und Investorin entwickeln wird. Der Kampf um gute Deals wird härter, und jeder Löwe braucht, wie die Startups ja auch, ein klares Profil und unfaire Vorteile.

Vor Jochen Schweizer und seiner Lebensleistung habe ich großen Respekt, ich bewundere, was er aufgebaut hat. Schade, dass ihm nach meiner Einschätzung sein Ego manchmal ein Stück weit im Weg stand. Er ist ja seit dem Ende der dritten Staffel nicht mehr dabei – und es ist eine objektive Beobachtung von Judith und mir, dass der Stress am Set weg ist, seitdem Jochen Schweizer weg ist. Mag auch ein Zufall sein, ist aber einfach so. Die Höhle der Löwen ist ja keine One-Man-Show, sondern eine Ensemble-Leistung, es gibt keinen »König der Löwen«. Deshalb war es schwierig, wenn ich ein Hemd anhatte, das mir die Garderobe ausgesucht hatte, und es einem Löwen angeblich nicht gefiel, weil es mich in seinen Augen zu sehr in den Vordergrund drängt. Oder, noch abgefahrener: Er hat sogar, so zumindest mein Eindruck, seinen Sessel heimlich höher als die der anderen »Löwen« bauen lassen. Wollte er damit größer wirken? Auch beim Trailer-Dreh hat er sich ein wenig eigenwillig verhalten: Da hat er sich so in den Vordergrund gedrängt, dass mich die Kamera nicht mehr sah. Viele aus unserem Team hat er schließlich gegen sich aufgebracht, als er sich in seiner Mittagspause in seiner Garderobe einschloss und ein Schild an die Tür hängte: »Nicht stören, Löwe schläft!« Das ist ja für die Mittagspause auch völlig okay, aber wenn die Pause vorbei ist und alle Gewerke schon am Set stehen, um weiterzumachen, ist es natürlich schwierig, wenn ein »Löwe« immer noch schläft und von innen abgeschlossen hat. Seinen Ausstieg aus der Sendung hat er, meiner Einschätzung nach, auch nicht optimal kommuniziert – und ich will ehrlich sein: Wenn er nicht gegangen wäre, wäre ich wahrscheinlich gegangen, da es mir einfach zu anstrengend mit ihm war. Wir haben auch kein gemeinsames Unternehmen mehr: Ich bin bei »Meine Spielzeugkiste« noch engagiert, während er bereits ausgestiegen ist. Ich glaube, Jochen ist an sich ein Supertyp, und ich hoffe, er hat mittlerweile gelernt, dass er es gar nicht nötig hat, sich so in den Vordergrund zu drängeln. Wer so viel erreicht hat im Leben wie er, kann sich doch eigentlich entspannt zurücklehnen.

Auch wenn jeder Produktionstag stressig ist und mir alles abverlangt: Es macht mir immer noch große Freude, mit diesen Kollegen zusammenzuarbeiten, und ich freue mich auf jeden Arbeitstag in der »Höhle der Löwen«. Noch glücklicher als meine Kollegen machen mich nur neue, herausragende Gründer. Ihre Leidenschaft zu spüren und mit ihnen über die Produkte zu diskutieren und ihre Pläne zu durchleuchten – genau deswegen liebe ich die Show so sehr. Ich bin zum Beispiel wirklich stolz, dass alleine meine Food-Unternehmen aus DHDL für 2018 über 100 Millionen Euro Umsatz planen. Ich will nicht nur zeigen, dass DHDL gutes, ja sogar sehr gutes Entertainment ist. Mir geht es um wesentlich mehr: Ich will erfolgreiche Unternehmen und herausragende Unternehmerpersönlichkeiten aufbauen. Inzwischen sind wir mit DHDL im Hinblick auf die Marktanteile sogar noch erfolgreicher als unsere Kollegen in den USA. Absolut haben sie natürlich mehr Zuschauer, aber die USA haben ja auch viermal so viele Einwohner. Noch mehr freut mich aber: Man kann in Deutschland auch mit Wirtschaftsthemen herausragende TV-Quoten erzielen. So vermitteln wir »nebenbei« wichtige Grundlagen zum Aufbau, zur Finanzierung und zur Vermarktung von Unternehmen. Und wir sind deutlich erfolgreicher als die Nachahmer-Formate, die mehr Show als echtes Gründen und Investieren zeigen.

Selbst die VC- und Startup-Szene, die anfänglich kritisch reagiert hat, ist mittlerweile größtenteils Befürworter unseres Formats. Auch in den USA sind führende Köpfe der Szene von anfänglichen Kritikern selbst zu Sharks geworden. Chris Sacca ist zum Beispiel einer der erfolgreichsten US-Startup-Investoren. Er investierte als einer der Ersten in Twitter, Uber, Instagram und Kickstarter. Auch er äußerte sich anfänglich kritisch über Shark Tank, ließ sich aber überzeugen und ist heute Teil der Sendung. Auch weltberühmte Unternehmer wie Multitalent und -milliardär Richard Branson, Hollywoodstar Ashton Kutcher und der vom Obdachlosen zum mehrfachen Milliardär aufgestiegene Hersteller von Haarpflegeprodukten John Paul DeJoria sind heute Teil der DHDL/Shark-Tank-Familie.

Sage noch mal jemand, das Fernsehen sei tot.

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